Würzburg braucht „Begrünung jetzt.“

Screenshot: Prof. Heiko Paeth, MdL und Stadtrat Patrick Friedl, Stadträtin Dr. Simone Artz, Prof. Elke Hertig (v.lks im Uhrzeigersinn).
Geballte Klimaexpertise bei der digitalen Veranstaltung „Begrünung.jetzt“: Prof. Heiko Paeth, MdL und Stadtrat Patrick Friedl, Stadträtin Dr. Simone Artz, Prof. Elke Hertig (v.lks im Uhrzeigersinn). Foto/Screenshot: Josef Schmid

Wissenschaft und Politik einig: Bäume leisten viel für das Würzburger Stadtklima

Überparteiliche PRESSEMITTEILUNG vom 22.06.2022

Neunzig Minuten geballte Klimaexpertise und klare Botschaften gab es bei der digitalen Veranstaltung „Begrünung jetzt.“, zu der das Stadtratsbündnis „Besser leben im Bischofshut“ im Vorfeld des Bürgerentscheids am 24. Juli eingeladen hatte. Der Würzburger Klimaforscher Prof. Dr. Heiko Paeth, die Augsburger Professorin für „Regionalen Klimawandel und Gesundheit“ an der Universität Augsburg Prof. Dr. Elke Hertig sowie der Stadtrat, Würzburger Landtagsabgeordnete und Sprecher für Klimaanpassung der Grünen-Landtagsfraktion Patrick Friedl untermauerten mit wissenschaftlichen Analysen die Forderung, dass Würzburg so schnell wie möglich erheblich mehr begrünt werden muss.

„Es ist viel zu warm und viel zu trocken“, so Prof. Heiko Paeth. Er zeigte zum Einstieg in die Thematik die monatlichen Temperaturabweichungen zu den Durchschnittstemperaturen von 1961 bis 1990. Diese zeigen einen stetigen Temperaturanstieg begleitet durch zunehmende Trockenheit. Von Hitzetagen spricht man bei Temperaturen ab 30 Grad Celsius. Prof. Paeth veranschaulicht, dass wir im Zeitraum von 1970 bis 1999 pro Jahr fünf bis acht Hitzetage hatten, bei ungebremstem Klimawandel aber sehr viel mehr Hitzetage auf uns zukommen. In der Hohen Rhön ist voraussichtlich mit 12 bis 14 Hitzetagen pro Jahr zu rechnen. Prof. Paeth: „In den dicht bebauten und versiegelten Innenstädten von Würzburg, Aschaffenburg oder Iphofen steuern wir sogar auf mehr als 30 Hitzetage pro Jahr zu – begleitet von bis 20 Tropennächten, in denen die Temperaturen in der Nacht über der 20 Grad-Marke bleiben und so einen erholsamen Schlaf ohne gesonderte Kühlung unmöglich machen. Dies kann gravierende gesundheitliche Folgen haben bis hin zum vorzeitigen Tod.“ Solche Tropennächte gab es in unserem Klima in der Vergangenheit nicht.

Während sich früher Trocken- und Feuchtigkeitsphasen abwechselten, ist es seit dem Jahr 2015 durchgehend zu trocken. Im Mai 2022 gab es nur die Hälfte des üblichen Niederschlags. Der Klimaexperte warnt: „Besorgniserregend ist auch, dass sich die Wasserknappheit von Jahr zu Jahr kumuliert. In Unterfranken fehlt seit 2015 bereits ein ganzes Jahr Niederschlag! Mit einem regenreichen Monat kann man dieses nicht wieder einfangen. Eine große Herausforderung ist auch die gleichzeitige Zunahme von Starkregenereignissen, die auf ausgetrocknete Böden treffen.“ Die Landwirtschaft außen vor gelassen, sind von den negativen Effekten der Trockenheit und Hitze insbesondere die Innenstädte betroffen. Dies ist ein eindeutiges Ergebnis der jüngst veröffentlichten Forschungsstudie „Klimaerlebnis 2018“ der Technischen Universität München (TUM), an der Prof. Paeth mitgewirkt hat. Über einen Zeitraum von 3 Jahren wurde am Beispiel Würzburgs der Einfluss von Stadtbäumen auf das Mikroklima untersucht. Messstationen standen u.a. am Paradeplatz, am Marktplatz und am Ringpark.

[Hier geht’s zur Studie: https://www.tum.de/die-tum/aktuelles/pressemitteilungen/details/37390 ]

Der „Hitzeinsel-Effekt“, der durch die Überwärmung der Innenstädte in den Sommermonaten eintritt, findet besonders in den frühen Nachmittagsstunden und abends zwischen 19 und 22 Uhr statt. Die Studie zeigt auch, dass Begrünung für spürbare Abkühlung sorgt. Der innerstädtische Ringpark ist laut Prof. Paeth ein Segen für Würzburg, doch die vorhandenen Stadtbäume können die zunehmende Erwärmung nicht für die gesamte Innenstadt ausreichend abmildern – schon gar nicht an Plätzen, wo weit und breit kein Grün vorhanden ist. Prof. Paeth: „Würzburg braucht deutlich mehr Begrünung! Es ist Aufgabe der Politik, das Leben in den Städten lebenswert zu erhalten.“ Zwar kann man nicht für jede Stadt und jeden Stadtteil pauschal sagen, wie hoch der prozentuale Anteil an Begrünung sein soll, Faustregel aber ist: „So viel Begrünung wie irgend möglich!“ Zu den qualitativen Unterschieden von Begrünungsmaßnahmen sagt Prof. Paeth: „Dach- und Fassadenbegrünung können einen wirksamen Beitrag zum Raumklima in den Häusern leisten. Doch Menschen, die in schlecht gedämmten Häusern leben, müssen draußen Abkühlung suchen. Den höchsten Kühlungseffekt haben Bäume. Sie senken die unmittelbare Umgebungstemperatur spürbar um 1 bis 2,5 Grad Celsius, an einer maximalen städtischen Wärmeinsel Ende Juli 2019 wurden sogar Temperaturunterschiede von bis zu 8 Grad Celsius gemessen. Bäume spenden zudem auch Schatten. Wiesen dagegen sorgen eher für Verdunstung am Boden und haben eine Schwammwirkung.“ Eines betonte der Klimaforscher mit Nachdruck: „Ein neu gepflanzter Baum ersetzt keinen alten Baum. Neu gepflanzte Alleen müssten wir erst 30 Jahre lang bewässern, bis sie tief genug wurzeln. Am allerwichtigsten ist deswegen der Erhalt alter Bäume!“

Im Hinblick auf einen ökologischen Stadtumbau und notwendige Nachverdichtung nennt Prof. Paeth drei Handlungsmaximen: Man soll keine hohen Bauten an neuralgische Punkte in Kaltluftschneisen setzen. Prof. Paeth: „Wir brauchen mehr Variabilität in den Gebäudehöhen, damit die Kaltluftströme besser um die Häuser herum fließen können. Anstatt weiter den Trend zur Verstädterung zu fördern, sollte gefördert werden, dass die Menschen sich besser über das Land verteilen.“

Professorin Elke Hertig, deren Forschungsschwerpunkt auf dem Zusammenhang von Klimawandel und Gesundheit liegt, sprach anschließend über die gesundheitlichen Aspekte von Hitze in der Stadt. Ihre Forschungen bestätigen den dramatischen Anstieg an Hitzetagen in unseren Breiten und zugleich einen signifikanten Zusammenhang zwischen Hitze und Übersterblichkeit. Diese gibt die Abweichung von der durchschnittlichen Sterblichkeit an. Prof. Hertig: „Pro Grad Temperaturerhöhung steigt die Übersterblichkeit bedingt durch die Hitze bei kardiovaskulären Erkrankungen (Herz-Kreislauf-System) um etwa 3,8 Prozent.“

Prof. Hertig mahnt: „Was kaum jemand auf dem Radar hat ist, dass bei Hitze auch das schädliche bodennahe Ozon ansteigt. Schon heute überschreiten wir in den Sommermonaten sehr häufig die Leitwerte der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Eine besonders hohe Ozonkonzentration am Boden belastet unsere Atemwege zusätzlich mit Luftschadstoffen. Zuviel schädliches Ozon kann aber auch Herz und Gehirn in Mitleidenschaft ziehen.“ Moderatorin und Grünen-Stadträtin Dr. Simone Artz und viele interessierte Menschen aus Würzburg und der Region zeigten sich beeindruckt von den teils ernüchternden Daten. Prof. Hertig wünscht sich, dass dieses Wissen größere Beachtung findet und wir achtsamer werden im Hinblick auf die gesundheitlichen Belastungen: „Wir brauchen ein Frühwarnsystem und Hitzeaktionspläne für die bayerischen Städte!“

MdL und Grünen-Stadtrat Patrick Friedl mahnt darüber hinaus dringende konkrete Maßnahmen wie Flächenentsiegelung und Freihaltung von Frischluftschneisen an. Laut Friedl ist sich der Würzburger Stadtrat seit Jahren der Problematik bewusst, hat sich bereits auf den Weg zu einer Hitzeaktionsplanung und zur Klimaanpassung gemacht, so zum Beispiel mit dem „Masterplan Freiraum“. Friedl: „Wir wissen, wo der Handlungsbedarf am größten ist: Hier ist klar die Altstadt rund um den Bereich Paradeplatz – Bruderhof – Plattnerstraße und Sterngasse zu benennen. In der oft überwärmten und schlecht belüfteten Altstadt leben mehr als 18.000 Menschen, knapp 15 Prozent der Würzburger Bevölkerung. Der Anteil an versiegelter Fläche liegt hier bei fast 65 Prozent. Ähnlich verdichtet sind die Stadtteile Sanderau, Zellerau, Grombühl und Heidingsfeld mit einem Versiegelungsgrad von um die 50 Prozent.“

Im „Masterplan Freiraum“ wurden bereits mögliche Baumstandorte im Stadtgebiet identifiziert. Dazu Friedl: „Trotz der vorliegenden Erkenntnisse ist in den letzten Jahren zu wenig passiert. Dabei brauchen die Menschen in überhitzten Stadtteilen in mindestens 200 Meter Reichweite dezentrale begrünte Stadtoasen.“ Das Bündnis „Besser leben in Bischofshut“ treibt den Umbau der Altstadt voran und will im Zuge ihres Verkehrskonzepts für Würzburgs Innenstadt über 6000 Quadratmeter Fläche in der Altstadt entsiegeln und weitgehend begrünen. Friedl ist sich sicher, dass die Umverteilung und Begrünung der Flächen neben der Gesundheit und einem Mehr an Lebens- und Aufenthaltsqualität auch Raum schafft für mehr „Handel und Wandel“, das zeige auch das Beispiel Eichhornstraße. Friedl fordert: „Wir müssen unsere Einstellung ändern. Anstatt zu fragen, wo vielleicht noch ein Baum hinpasst, muss Stadtgrün Vorrang haben. Wir brauchen mehr Begrünung und mehr Bäume – und wir brauchen sie nicht irgendwann, sondern jetzt.“

Der Landtagsabgeordnete Friedl sieht auch Handlungsbedarf beim Freistaat Bayern. Er kritisiert, dass das Landesrecht in den Regionalplänen nur grobe Korridore für Grünzüge vorsieht. Friedl: „Die Kommunen brauchen aber präzise Flächenfestlegungen, die die lebenswichtigen Frischluftschneisen und Kaltluftentstehungsgebiete verbindlich absichern. Es ist dringend erforderlich, diese Vorrangflächen freizuhalten! Nur so können wir eine nachhaltige Bebauung, Begrünung und Kühlung unserer Kommunen gewährleisten.“